SUDAN, Rast im Knast

Der grosse Vorteil an einer schlimmen Situation ist, dass es eigentlich nur besser werden kann. Diesen Leitsatz hielt ich mir immer vor Augen, als ich im Grenzgebiet zwischen Äthiopien und Sudan mein Motorrad stehen liess, weil ich die Hoffnung und die Kraft verloren hatte, es zusammen mit der Ausrüstung aus dem Schlamm zu ziehen. Ich machte mich auf den Weg, zu Fuss, nunmehr beladen mit dem Wichtigsten: Meinem Rucksack mit der Fotoausrüstung, dem Tagebuch und allen Papieren und meinem Schlafsack. Ich blieb buchstäblich im Schlamm kleben (MSS 15/2000 berichtete darüber) und schloss mich einer Gruppe Äthiopier an, die, wie ich, nach Westen weiterkommen wollten. Was für sie unmöglich ist und für mich möglich erschien, war der Grenzübertritt nach Sudan. So liefen wir eine Nacht lang bei absoluter Dunkelheit während eines kräftigen Gewitters durch den Busch. Beim Überqueren der Flüsse gaben wir uns die Hand, um uns bei eventuellen Krokodilangriffen gegenseitig aus dem Wasser zu ziehen. Wahrlich, schlimmer konnte es eigentlich kaum werden.

Nach vier Tagen Regen lief ich zurück um mein Motorrad zu holen und fuhr zur Grenze. Zu meinem Erstaunen wurde mir der Einlass in den Sudan nicht verwehrt. Ich hatte den äthiopischen Schlamm bewältigt, vor mir liegt wieder Wüste.

Mein erstes Ziel: Gedaref. Ich entscheide mich zum ersten Mal auf dieser Reise für ein gutes Hotel. Ich bin ausgepowert von den Strapazen und vom Kampf gegen den Schlamm, körperlich in nicht allzu bester Verfassung.

Die Weiterfahrt nach Khartoum verläuft ohne Probleme. Entgegen meinen Erwartungen.

Sudan ist ein schwieriges Land. Es wird von einer islamisch fundamentalistischen Regierung regiert, d.h., keine Frauen und keinen Alkohol. Also nicht sehr vielversprechend für meine Bedürfnisse.

Am meisten zu schaffen macht mir die unglaubliche Hitze. Die Luft steht und die Sonne brennt herab. Kein Tag mit Temperaturen unter 40 Grad. Alle paar Kilometer kommt man an einer Strassensperre vorbei. Die Strassensperren bilden eine grosse Gefahr. Oft können die Polizisten nicht lesen und mehrmals wurde das Ausstellungsdatum des Visums in meinem Pass als Ablaufdatum interpretiert und ich sollte verhaftet werden. Sudan ist das einzige Land während meiner Reise, wo ich mich bei der Botschaft meldete und eine Notiz mit meinen weiteren Plänen hinterliess. In Sudan sind schon viele Leute verschwunden. -Weisse. Zweifellos oft auf Grund von Missverständnissen irgendwo eingelocht. Mit meiner Nachricht bei der Botschaft hätte man im Falle meines Verschwindens wenigstens einen Anhaltspunkt.

In Khartoum vereinigen sich der weisse Nil und der blaue Nil und fliessen gemeinsam nach Norden, Richtung Ägypten. Ich folge dem Nil ein Stück, bis nach Atbara, wo ich abbiege und durch die Wüste, entlang dem Zuggeleise nach Sinkat und Port Sudan fahren möchte. Unterwegs komme ich an den alten Pyramiden von Meroë vorbei.

Illusorisch, zu glauben, dass das Land der Pharaonen an der heutigen Grenze zum Sudan aufhörte. Die Wüstendurchquerung von Atbara nach Port Sudan ist eine grosse Mutprobe und setzt grosses Vertrauen in die Technik voraus. Es sind 300 km menschenleere Wüste, die ich alleine durchqueren möchte. Ein ungünstiger Sturz oder ein technisches Problem am Motorrad, hätte unter Umständen fatale Folgen. Ich bin sehr skeptisch und wäge immer wieder ab, ob ich es wagen sollte, dieses Risiko einzugehen. Oft sind aber genau die Unternehmen die besten, wovor man ein bisschen Angst hat.

Anfänglich kann ich 80 und ab und zu 100 fahren. Es ist ein gutes Gefühl. Ich stehe auf den Fussrasten und durchkreuze einen unberührten Sandsee. Ein Gefühl, wie die Lady im Film, vorne auf der Titanic. Besser noch: Ich bin schneller und ich bin der Captain. Ich kann mir nicht viel vorstellen, womit ich das Gefühl von totaler Freiheit intensiver erleben könnte. Doch es hält nicht lange an. Spuren werden sichtbar. Tiefe Spuren. Und bald treffe ich auf deren Urheber. Grosse Lastwagen, beladen mit riesigen Rohrteilen für eine Pipeline, welche von Chinesen gebaut wird. Der Vorteil: Ich bin nicht mehr so alleine, der Nachteil: Von nun an gilt es eine hoffnungslos zerfurchte Piste zu fahren. Die grossen Lastwagen hinterlassen solch tiefe Spuren, dass ich mich für die linke oder die rechte entscheiden muss. Ein Wechsel ist fast unmöglich. Links und rechts der Piste liegen nun Steine und ein Fahren neben der Piste ist genauso mühsam und gefährlich wie in den Spuren. Der Sand in den Spuren ist fein und man sinkt ein und es ist Scheisse zum Fahren. Ich kann die 80Km/h nicht halten, -werde immer langsamer. Schlenker, wenn man doch mal aus der Spur rutscht, sind mit dem schweren Gepäck fatal, doch ich schaffe es, ohne mich hinzulegen. Den ganzen Tag stehe ich auf den Fussrasten. Es erfordert volle Konzentration. Irgendwo mitten in der Wüste treffe ich auf ein Kontainerdorf, wo Chinesen und Sudanesen, die an der Pipeline arbeiten, hausen. Kontainer mit Klimaanlage, Warmwasser, Satelliten-TV und Fax. Rundherum ein 3m hoher Stacheldrahtzaun. Bewacht von Sudanesischer Sicherheitspolizei. Eine Gruppe Chinesen bietet mir an, bei ihnen zu übernachten. Während ich meinen Reis esse, kommen einige Sudanesische Militärpolizisten herein. Sie sind unfreundlich. Der Pass und mein Gepäck wird mir abgenommen und ich muss ihnen folgen. Die Lage wird beängstigend. Es ist mittlerweile dunkel geworden aber ich habe keine Wahl, ich muss dem Militärjeep hinterher fahren durch die Nacht, raus in die Wüste zu einem Militärgebäude.

Ich komme in den Knast!

Die Gefängnisse in Afrika gehören zu den schlimmsten auf der Welt. Sie sind dreckig, überfüllt und oft sind die überfüllten Räume fensterlos. Falls es Fenster gibt, sind sie vergittert. Zwischen den Gitterstäben hindurch: Arme, Hände und ab und zu ein Schwanz um wenigstens das flüssige Geschäft nach Draussen zu verrichten, da es meist an sanitären Einrichtungen fehlt.

Mein gesamtes Gepäck wird mir abgenommen und die Kleider ausser T-Shirt und Unterhose muss ich ausziehen. Dann ab in die Zelle. Die Zelle ist geräumig. 3m breit, 4m lang, 3m hoch. Ha ha. Und sie ist leer. Kein Bett, kein Stuhl, nichts. Steinboden. Eine Tür aus Gitterstäben. Ich protestiere, als sie mein Gepäck durchsuchen wollen. Die Taschen meiner Jacke werden vor meinen Augen geleert... ich könnte vor Wut explodieren. Ich rufe einen der Bastarde zu mir und sage, dass ich auf die Toilette muss. Mit einer Kalashnikov im Rücken wird mir dieser Wunsch zugestanden, doch mit einer Kalashnikov im Rücken kann ich nicht pissen. Die Kalashnikov bleibt, mein Protest schwindet. Dann gehen sie alle in einen Raum. Mit ihnen mein Gepäck. Gute Nacht Freunde.

Bis spät in die Nacht rattert die Schreibmaschine. Niemand weiss, wo ich bin. Zum Glück habe ich mich bei der Botschaft registrieren lassen. -Nicht dumm. Doch wer wird mich hier schon suchen? Ein Knast in der Wüste. Mein Kopf ist wie ein Ameisenhaufen. Ich suche nach Fluchtmöglichkeiten. Die Mauer um den Bau ist nicht sehr hoch. Ich könnte hinüberklettern. Die Stahlgittertür an meiner Zelle lässt sich jedoch nicht öffnen. Der Türrahmen ist an mehreren Stellen in den Mauern verankert. Das Schloss und der Riegel sind zu massiv. Ich könnte es während eines Toilettenspaziergangs versuchen. Mich blitzschnell umdrehen und dem Bullen so fest ich kann voll auf die Nase schlagen. Meine drei oder vier Jahre Karateerfahrung sollten dazu noch reichen. Ich könnte ihm das Gewehr entreissen. Die anderen hatten keine Gewehre, darauf habe ich geachtet. Nur der General trägt einen Revolver. Bumm! Er ist der Erste. Dann 360° auf Serienfeuer. Von einem Äthiopischen Soldaten liess ich mir eine Kalashnikov zeigen. Nur so für den Fall. Genau für diesen Fall. NICHT DUMM! Ratatatatatatatatatahhh... welche Genugtuung! Dann über die Mauer, die Kanone geschultert und weg.

Den Gesprächen entnehme ich, dass sie mich der Spionage verdächtigen. Der Verdacht alleine reicht unter Umständen für ein fatales Urteil. Wenigstens habe ich keine amerikanischen Stempel im Pass. Ich muss schlafen, versuche mich abzulenken. Denke an die Chinesen im Klimacontainer. Versuche, mich quasi selbst zu hypnotisieren. Und es klappt. Endlich schlafe ich ein. Mein Körper braucht Ruhe. Irgendwann wache ich auf. Was ist, wo bin ich, Stahlgitter? ...Ach ja. Scheisse. Die Schreibmaschine tickt noch immer. Ich schlafe nochmals ein doch schon vor dem Morgengrauen bin ich wieder wach. Wie geht es wohl weiter? Ein kleiner Ghadaffi mit Sonnenbrille und Kalashnikov kommt nach mir sehen. Wir machen den Toilettenspaziergang. Diesmal kann ich pissen. Es ist ihm irgendwie peinlich, mich wieder einzusperren. So stehen wir da, mitten auf dem Platz zwischen den vier Mauern. -Er mit der Kalashnikov und ich in der Unterhose mit der Ungewissheit wie es weiter geht und wir reden über den Sudan. Jaja. Ein tolles Land. Freundliche Leute.

-Kannst Du Deinen Gegner nicht schlagen, verbünde Dich mit ihm. Ich sehe mich dabei aber genaustens um. Entdecke nun bei Tageslicht eine Tür auf der Strassenseite. Steine liegen herum. -Steine können als exzellente Waffen dienen. Der Sudanese bemerkt, wie ich mich umsehe und winkt mich mit der Flinte wieder in die Zelle. So sitze ich da, wie in den alten Filmen. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt, mit ausgestreckten Beinen auf dem Steinboden sitzend, hinter der geschlossenen Stahlgittertür. Kleine Ameisen transportieren ein grösseres Insekt nach Hause und draussen fliegt ein Vogel herum. Ich habe Hunger. Und ich habe Zeit. Zeit um mir alles 2Mio. Mal durch den Kopf gehen zu lassen. Zum Glück habe ich keinen Alkohol im Gepäck. Auf Alkoholbesitz stehen zwei Monate Gefängnis. Alkoholkonsum wird mit 40 Peitschenhieben in der Öffentlichkeit bestraft. Drei der Chinesen haben damit einschlägige Erfahrungen gemacht. 40 Mal knallt jedem von ihnen die Lederpeitsche in den Rücken, nachdem sie angetrunken aufgegriffen wurden. Sie erlitten dabei nicht nur einen körperlichen Schaden. Was sind das für Leute, die andere Menschen auspeitschen? Sind das die Leute, die mich nachher verhören?

Am nächsten Tag lassen sie mich gehen. Ich habe den Grund für meine Verhaftung nie erfahren und auch nicht danach gefragt. Ich mache mich auf den Weg nach Norden, so schnell wie möglich möchte ich Sudan verlassen. Ich entscheide mich, ein Stück mit dem Zug zu fahren um dem Risiko einer weiteren Verhaftung an einer Strassensperre zu entkommen. Doch auch der Zug scheint nicht die sicherste Möglichkeit zu sein...

Paul Noy