DER WEG NACH SUDAN / Oktober 1998

Ich lasse mein Gepäck und Motorrad in Gonder zurück und fliege in einer kleinen Propellermaschine der Ethiopian Airlines nach Addis Abeba zurück um das Sudanesische Visum abzuholen. Mein Äthiopisches Visum ist schon abgelaufen und die Verlängerung läuft in ein paar Tagen ab. Erstaunlicherweise erhalte ich das Sudanesische Visum und breche auf. Mit der Propellerkiste zurück nach Gonder, dann der Start zur letzten grossen Etappe.

Der erste Teil ist nass und schlammig. Dennoch komme ich gut voran. Bleibe nicht stecken. Ich treffe den Traktorfahrer mit dem ich vor zwei Wochen zum Grenzposten gefahren bin um zu sehen, ob die Grenze offen sei. Er sagt, der zweite Teil der Piste sei trocken. Kein Schlamm. Es habe seit fünf Tagen nicht geregnet. Ich solle durchfahren und könnte noch heute die Grenze erreichen. Ich gebe Gas. Möchte es versuchen. Da ich nach der letzten Übernachtung in Nagade Bahir mit Flohstichen übersät war, verzichte ich gerne und fahre durch bis nach Shahedi oder vielleicht sogar bis in den Sudan. Beim Gedanken, heute wirklich im Sudan anzukommen muss ich schmunzeln. Vielleicht heute. Vielleicht auch nie... Wer weis, ob die Sudanesen mich überhaupt hereinlassen. Und was ist, wenn nicht? Aber noch sieht alles gut aus. Sehr gut. Noch 17Km bis Shahedi. Und dann kommt der Regen. Wolken türmen sich auf und wie eine schwarze Wand kommt es auf mich zu. Durchzuckt von grellen Blitzen. Rund um mich Busch. Hinter mir trockene Piste, vor mir nasse Piste. Die Luft ist erfüllt von drohendem Donner. Erst stelle ich mich noch unter, doch die Erkenntnis kommt bald, dass das nichts bringt. Weiter. Von der Traktorfahrt weis ich, dass 12Km vor Shahedi die schwierigste Stelle kommt. Ein Schlammsee. Schon mit dem Traktor schwierig durchzukommen. Es schüttet. Ich komme recht weit durch den Schlammsee, finde immer wieder ein paar Meter harten Untergrund worauf ich Schwung holen kann. Eine kraftraubende Angelegenheit. Doch dann stecke ich fest. Felsenfest. Ich entlade das Motorrad und trage das ganze Gepäck dorthin, wo die Piste wieder befahrbar erscheint. Das Wasser wird zusehends tiefer. Ich stehe bis zu den Knien im Schlamm. Laufen ist mühsam. Ich versuche, ja kämpfe um das Motorrad vorwärts zu bewegen. Zwecklos. Ich rackere mich ab, schwitze, fluche und es gewittert und schüttet. Ich kann nicht mehr. Ich bleibe in der Scheisse kleben, wie eine Fliege im Honig. -Hoffnungslos. Das Motorrad und ich sind wie einbetoniert.

Und dann...: Das erlösende Geräusch eines Traktormotors erklingt. Gerettet !!! Denke ich. 100m vor mir bleibt der Traktor stecken. Ich bin erschöpft und ausgelaugt. Hungrig, durstig, ich bin fertig. Im Schlamm ersoffen. Ha ha. Es regnet noch immer. Man fällt ein paar Bäume um sie unter die Traktorräder zu schieben. Traktorstossen. Leute schreien sich an. Beide Räder drehen durch. Schlamm fliegt durch die Luft. Schlamm überall. Und dann die Krönung. Sozusagen das Tüpfchen auf dem i. Ein Aststummel bohrt sich in den Reifen. Der Traktor hat einen Platten. Der Regen lässt nicht nach. Das Wasser steigt. Man hat kein Flickzeug. Ich kann aushelfen. Im Gegenzug lade ich das Gepäck auf den Traktor. Mit vereinten Kräften schaffen wir wenigstens das Motorrad auf die Pistenfortsetzung zu bringen. Der Traktor ist unterdessen auf noch mehr gefällten Bäumen aufgebockt, das Rad liegt im Schlamm und jemand versucht meinen Flicken im strömenden Regen mit brennenden Streichhölzern aufzuvulkanisieren. Ich kann nicht zusehen. Es wird dunkel. 11Km zu fahren. Ich mache mich auf den Weg. Alles ist nass. Alles ist braun. Noch einmal eine grosse Wasserdurchfahrt. Ich schaffe sie. Doch kaum bin ich durch, stellt der Motor ab. Als hätte jemand den Schlüssel umgedreht. Ende. Ich habe noch genügend Benzin, das kann es nicht sein. Ich hatte dieses Problem schon früher. Extremen Schlamm und Nässe mag meine Yamaha nicht. Ich gebe auf. Stelle sie auf den Ständer auf ein Inselchen, welches mir nicht so schnell davonzutreiben scheint und setze mich ins Gras. Es regnet noch immer. Geh nur unter du Schweinewelt!

Die Yamaha lässt mich im Stich. Ich hoffe, dass der Traktor kommt. Er kommt nicht. Keine Streichhölzer mehr? Ich fühle mich wie der einzige Mensch auf Erden. 2cm gross. Warten hat keinen Zweck. Ich gehe zu Fuss dem Traktor entgegen, bis ich das erlösende Motorengeräusch wieder hören kann. Er kommt. Wortlos steige ich auf. Ein Kind heult und die Mutter und ein alter Amhare versuchen, es zu beruhigen. Es ist schon ziemlich dunkel. Der Traktor hat kein Licht. Jemand auf dem Anhänger hat eine Taschenlampe. Wir kommen an meinem Motorrad vorbei und schliesslich erneut zu einem Schlammfeld. Der Traktor hält an und stellt den Motor ab. Bis hierher und nicht weiter. Es ist Nacht. Zu dunkel um weiterzufahren. 7Km bis Shahedi. Einige beschliessen zu laufen. Ich gehe mit. Die Hälfte des Gepäcks lasse ich beim Traktor, ein paar Sachen sind noch beim Motorrad im Schlammsee, ich nehme nur meinen Rucksack mit den Papieren, Kamera und Tagebuch und den Schlafsack mit. Der Regen hört nicht auf. Nässer kann ich nicht werden und in Shahedi gibt es wenigstens ein Lehmhüttenhotel. Wir sind etwa fünfzehn. Wir haben zwei Taschenlampen. So laufen wir durch die Nacht. Durch den Regen. Durch Schlamm, Pfützen, waten durch Flüsse und durchstreifen 2m hohe Grasfelder, als die Äthiopier eine Abkürzung wissen. Ich verlasse mich auf sie. Der einzige Vorteil an einem Gewitter nachts ist, dass die Blitze ab und zu die Landschaft beleuchten. Wie eine Gruppe Zombies kommen wir spät abends daher. Einfarbig. -Shahedi. Ein Dorf aus Lehmhütten mit Stroh- und vereinzelt Wellblechdächern. Keine Strasse und nur einzelne Generatoren um hie und da eine Hütte mit Licht zu versorgen. Ich bin todmüde. Fix und fertig. Es gibt keine Dusche. Ich ergattere eines dieser Rattenlochhotelzimmer für einen Dollar die Nacht und bevor ich mich auf's Bett fallen lasse, spraye ich es ausgiebig mit Insektizid ein. Flöhe sind grosse Mode in Äthiopien. Noch immer prasselt der Regen auf das Wellblechdach. Ein unerträglicher Lärm, weil er einen unerträglichen Gedanken in Erinnerung ruft: SCHLAMM! Und hier werde ich sitzen. Drei Tage lang. Es regnet fast ununterbrochen. Jeden Morgen wacht man mit demselben Geräusch auf. Es macht depressiv. Kein Traktor fährt. Ich habe kein Gepäck und kein Motorrad. Irgendwann trudelt der Traktor mit dem Gepäck doch ein. Am vierten Tag wache ich auf: Sonnenschein. Seit letztem Abend kein Regen. Ich hole das Motorrad. Doch der Traktor ist weg. Ich muss die acht Kilometer zu Fuss gehen, den Fehler beheben, zurückfahren, Gepäck aufladen und raus aus Äthiopien. Inshallah. 40Km bis zur Grenze. Ein Rennen gegen die Zeit. So mache ich mich auf den Weg. Das Versäumen der Traktorfahrt war nicht weiter schlimm. Schon bald hole ich ihn zu Fuss ein. Er hat eine Panne. Noch vor Mittagszeit erreiche ich das Motorrad. Ziehe den Choke: ein Kick und sie läuft. Igserjemezgin ! (Gott ist gross) In rasanter Fahrt um das Gepäck aufzuladen und auf geht's. Die Piste ist natürlich schlammig. Es sind nur 40Km doch die haben's in sich. In Shahedi können selbst die Esel nicht mehr gehen. Einige sind bis zu den Bäuchen im Schlamm eingesunken. Männer schieben ihnen Stöcke quer unter die Bäuche und heben die Esel heraus. Die Lage ist desolat. Aber ich habe ja den ganzen Nachmittag Zeit. Fast den ganzen Weg gibt es eine Spur deren Oberfläche hart ist. Die Spur der Fussgänger. Wie ein 10cm hohes, 30cm breites Lehmmäuerchen, wo das Wasser nicht liegenbleibt und welches, sobald die Sonne scheint, austrocknet. Darauf fahre ich. 40Km lang. Fast. Ab und zu steht auch das Mäuerchen unter Wasser. Dann laufe ich den Schlamm ab, hole Anlauf und versuche durchzupreschen. Wenigstens soweit wie möglich. Ab und zu komme ich nicht drumherum, das Motorrad abzuladen, das Gepäck hinüberzutragen und nachdem ich mit dem Motorrad durchgepflügt bin, alles wieder aufzuladen. Ab und zu versuche ich auch mit allem Gepäck durchzumähen, was nicht immer gelingt. Meistens stecke ich dann felsenfest und tief im Dreck. Dann hilft nur eins: Abladen, Benzinhähne zu, Motorrad hinlegen und neben der Spur wieder aufstellen. Doch das ist einfacher gesagt als getan. Es ist Knochenarbeit. Einmal, als ich das Motorrad hinlege, kommen mir einige Hirten zu Hilfe. Sie stemmen das Motorrad mit Leichtigkeit hoch. Sie sind ja noch frisch im Gegensatz zu mir. Ich bin gerädert. Wenn es in dieser Region nicht regnet, ist es 40° heiss. Und sie sind so frisch, dass sie stemmen und stemmen, bis das Motorrad auf die andere Seite umkippt. Nein. Denken ist nicht ihre Stärke. Aber lachen können sie darüber. Ich nicht. Ich bin Mal wieder am Ende meiner Kräfte. Ich stehe mehr als knietief im pisswarmen Schlamm. Obendrauf schwimmen grüne Algen. Eine Fundgrube für Bakterien, Krankheiten und Freunde. Mit blossen Händen schiebe ich die warme Scheisse beiseite. Was bleibt mir anderes übrig? In einer eben so warmen Pfütze wasche ich mir danach den Dreck vom Leibe. In den Tropen: Bade nicht in stehenden Gewässern. Die Stiefel sind voll Schlamm, alles ist voll Schlamm, doch das Motorrad ist draussen. Wie ein Cowboy am Ende einer langen Reise durchfahre ich Metema, der Grenzposten zum Sudan. Was nicht tötet härtet ab...

Routenwahl:

Von Äthiopien kommend Metema, Gallabat
Gedaref (in der Regenzeit nur mit Traktoren schwer machbar)
Hauptstrasse via Wadi Medani nach Khartoum
Atbara
alleine 450 km durch die Wüste nach Osten, Haiya
Sinkat (Knastpause)
Suakin
Port Sudan
Zurück nach Atbara
via Abu Hamed im Zug durch die Wüste nach
Wadi Halfa
Ägypten

Reiseinfos

Reiseziel: Ägypten

Dauer: 1 Monate

Einreiseformalitäten: Visum. In Äthiopien erhältlich. Lokales, handgeschriebenes Carnet de passage wird am Zoll ausgestellt.

Geld: Travellerchecks sind unmöglich, man ist auf den Schwarzmarkt angewiesen mit Cashdollars. Strenge Deklarationspflicht!

Unterkunft: schwierig, ein passendes Hotel zu finden, jedoch äusserst gastfreundliche Bevölkerung.

Verpflegung: Arabisch. Strassenhändler verkaufen allerhand. In den Städten günstige kleine Restaurants.

Sprachen: arabisch und wenig englisch

Besuchte Sehenswürdigkeiten: Khartoum, wo der weisse und der blaue Nil sich vereinen. Die Pyramiden von Meroë

Besonderes: Vorsicht im Umgang mit Behörden und ACHTUNG: Absolutes Alkoholverbot!!!

Auskunft: Diverse Reisebüros...

Reiseveranstalter, Organisation: keine

Reiseführer: Lonely planet... aber in weitesten Teilen stimmt auch der nicht mehr.

Karten: Michelin 954