Äthiopien, August / September 1998
Hatte ich mich doch so über die Teerstrasse gefreut... ist sie schon wieder zu Ende. Die Piste von Yabello nach Konso wird eine der schwierigsten Strecken der Reise, die offiziell noch als Piste auf einer Karte eingezeichnet ist. Es ist eigentlich keine Piste. Mehr eine Spur, der man folgt. Die Spur führt durch ausgetrocknete Flussbeete, über extrem steile Auf - und Abfahrten und entlang einiger extrem ausgefahrener schräger Passagen. Über Geröllfelder mit Papierkorb bis Staubsauger grosser Steine und schliesslich über eine Brücke, welche nur noch aus einigen Längsträgern besteht, zwischen deren 30 cm Abständen man den Fluss sehen kann. Schon zu Fuss ist mir dabei nicht wohl. Ich entscheide mich, anstatt die Brücke zu benützen, lieber den Fluss an geeigneter Stelle zu durchfahren und laufe dazu die Strecke zuerst ab. Das Wasser kommt mir nur bis an die Knie, doch die Strömung ist stark. Ich lade etwas Gepäck ab und fahre durch. - Erreiche das andere Ufer, bis auf nasse Füsse, sicher und laufe zurück um das restliche Gepäck zu holen. Die Skala der schlechten Strassen erreicht einen neuen Höhepunkt. Es sollte heute nicht bei einer einzigen Flussdurchfahrt bleiben. Und in Äthiopien scheint das normal zu sein. Auf fast jeder Tagesetappe gab es einen oder zwei Flüsse zu durchfahren. Ab und zu auch fünf. Einmal blieb ein Bus in einem dieser Flüsse stecken und als ein Lastwagen versuchte, den festsitzenden Bus zu umfahren, wurde er abgetrieben, in eine tiefere Zone, sodass nur noch ein Motorrad zwischen den zwei 'Grossen' durchfahren konnte... dessen Fahrer sich am anderen Ufer die Stiefel auszog um das Wasser auszukippen... :) Die Buspassagiere versuchte mittlerweilen, den Bus 'von Hand' an einem langen Seil, aus dem Fluss zu ziehen. Kalashnikovs und Rasiermesser Der Grund aus dem ich in diese abgelegenste Region Äthiopiens fahre, sind die vielen Stämme die hier leben. Ich erhielt von anderen Reisenden eine handgezeichnete Karte. Eine offizielle ist nicht erhältlich. Vor einigen Jahren wusste man noch nichts über dieses Gebiet und diese Völker. Die Völker ihrerseits wussten nichts von ihrer Aussenwelt. Die Aussenwelt, die WIR als Aussenwelt bezeichnen. Äthiopien existierte nicht in ihrem Wortschatz. Und wer nimmt sich das Recht SIE an politische Grenzen zu binden ? Auch heute interessiert sie das überhaupt nicht. SIE sind die MURSI. Alle anderen sind Nobodys. Es wird gebirgig. Natürliche Berge. Keine, der Natur abgerungenen Anbaugebiete für Mais, Kaffee oder Bananen. Danach kommt eine dunkelgrüne Ebene durch die ein gelber schnurgerader Strich geht: Die Piste. Wer dieses Stück hinter sich hat, befindet sich im Gebiet der Mursi. Es empfängt mich, wie eine Vorstellung aus Angst und Phantasie. Bilder wie aus einem Stechapfeltrip oder nach der Einnahme von Pilzen. Fabelwesen mit Scheiben in Ohren und Unterlippe, welche aussehen wie riesige Augen. Die Bewohner, die grauen, mit Asche eingeriebenen Körper mit weissen Streifen scheinen die Grenze der Erde auszumachen. Das Ende der Welt scheint hier zum Greifen nahe. Dahinter zerfliesst der Kontinent in Rauch und Weiss. In Wirklichkeit fliesst dahinter der Omoriver den ich so gerne gesehen hätte und den ich nicht erreichen konnte. Die Mursi, ein feindseliger Stamm, Tse-tse Fliegeninvasionen, welche die tödliche Schlafkrankheit übertragen und letztendlich eine eingestürzte Brücke zwangen mich zur Umkehr. Hier bei den Mursi... ich komme mir vor, wie 8 Millionen Kilometer von zu Hause weg. This is NOT the world as I know it. Die Mursi erscheinen mir als die 'entferntesten' aller Völker. Noch tagelang werde ich im Schlaf von dieser Begegnung träumen. Einheimische aus Jinka, dem letzten Dorf mit einer Tankstelle, hatten mir sehr nahe gelegt, die Mursi NICHT zu besuchen. Schon gar nicht auf eigene Faust. So werde ich an einen Lastwagenfahrer verwiesen, der einen Transport in diese Region unternehmen soll. Es geht durch den Urwald. Durch Bäche und Büsche; "-unwegsames Gelände". Nach den ersten Kilometern im Wald ist es auf der Ladefläche des Lastwagens nicht mehr auszuhalten. Alle 2 cm sitzt eine Tse-tse Fliege auf deinem Körper. Sie stechen in Hände und Fussgelenke und auch vor Jeans machen sie keinen Halt. Wir pressen uns zu viert in die Fahrerkabine. Es ist heiss und feucht, der Schweiss rinnt mir vom Leibe, doch der extrem vielen Tse-tse Fliegen wegen können wir die Fenster keinen Spalt öffnen. Ich bin froh, nicht mit dem Motorrad hier zu sein. Nach einigen Stunden Fahren, werden wir empfangen von zwei Mursikriegern, die ausser je einem Maschinengewehr nichts anhaben. Düstere Blicke, nackte Ärsche. Der Lastwagenfahrer ist bekannt, es gibt keine Probleme, wir können weiter. Immer wieder steht ein Krieger hinter einem Baum oder sitzt hinter einem Strauch. Keiner von ihnen ist nicht bewaffnet. Männer ohne Gewehr sind keine Männer. Wir biegen ein auf einen offenen Platz im Wald. Ein Grüppchen Kinder rennt auf den Lastwagen zu. Nackte Kinder mit weissen Streifen im Gesicht und auf dem Körper. Sie sehen nicht aus wie Menschen. Schon junge Mädchen haben Tonscheiben in Ohren und Lippen. Eine Erklärung dafür ist, dass die Mursi, während der Zeit des Sklavenhandels versuchten, sich mittels der Scheiben hässlich zu machen um so die Auswahl von sich zu lenken. Eine andere Theorie besagt, dass eine Frau, nachdem sie verheiratet ist, den Unterlippenteller tragen musste, um auf andere Männer nicht attraktiv zu wirken. Heute ist der Unterlippenteller ein Zeichen von Schönheit und es gehört zur Tradition. Ich werde umringt von Mursi. Diese hier sind sich Touristen gewöhnt und lassen sich für 2 Birr fotografieren. 2 Birr sind sFr. -.40. Das fünf Fotos 10 Birr kosten können sie nicht rechnen. Der Bezug zu Geld fehlt. Scheine zu sammeln wurde ihnen neulich durch den Tourismus angelernt. Was sollten Mursi auch mit Geld in einem Gebiet ohne Einkaufsmöglichkeiten und ohne Bar. Ich erhielt vorher einen Tip : Rasiermesser. Viele akzeptieren ein Rasiermesser als Bezahlung für ein Foto. Die Mursimänner tragen sehr aufwendige Frisuren. Die weissen Körperbemalungen setzen sich in den Frisuren fort. Rasierklingen vereinfachen da sehr viel. Alle wollen sie fotografiert werden. Umringen mich, ziehen mir an den Kleidern, reden auf mich ein, öffnen die Reissverschlüsse an meinem Rucksack und versuchen mir konstant etwas abzunehmen. Ich fotografiere, bis ich nur noch eine 1 Birr Note besitze. Ein Krieger offeriert mir, ihn für 1 Birr fotografieren zu dürfen. Ich schlage ein. Das war ein Fehler. Ein zweiter Krieger springt ins Bild, im Moment indem ich abdrücke. Ich reiche dem einen die letzte Birr Note und habe sofort zwei Kalashnikovs am Kinn. Wo die zweite Note sei und wo das Geld für den zweiten Krieger sei... Es ist natürlich Theater, doch nicht komfortabel. Es entsteht ein Aufruhr, ich werde wieder an den Kleidern gezogen und bin plötzlich umringt von etwa 10 Kriegern, immer noch zwei Gewehrläufe im Gesicht. Da kommt mir der eine Typ vom Lastwagen zu Hilfe und mit viel Mühe erklärt er den zwei Kriegern, dass eine 5 Birr Note mehr wert ist als vier 1 Birr Noten. Amharisch ähnelt der Mursisprache etwas, doch darin liegt das Problem nicht. Das Problem ist, zu verstehen, dass 5 Birr mehr sind als 4 Birr, obwohl es nur ein Geldschein ist und nicht vier. Wir gewinnen. Ich darf sie zur Versöhnung nochmals fotografieren. Die Gewehre werden mir aus dem Gesicht entfernt und dann wieder umgehängt. Und diese Mursi sind die freundlichen. Weiter westlich am Omo sind die schlechten. Man kann sie von hier aus nicht erreichen weil eine Brücke über einen seitenarm des Omos eingestürzt ist und den Omo über eine andere Brücke zu überqueren und in ihr Gebiet zu fahren wurde mir allerseits dringend abgeraten. Dort soll es heftige Auseinandersetzungen zwischen Mursi und Surma geben. Ein Krieg zwischen zwei Stämmen, von deren Mitglieder kaum einer jemals einen Weissen gesehen hat. Oft wurde die Schönheit von Dingen erhalten, durchdass nie jemand etwas daran verändert hat. Ich finde es ganz gut, dass sie Brücke eingestürzt ist. Vielleicht bleibt dadurch die Schönheit, nicht nur die äusserliche, dieser Völker erhalten. Die Schönheit deren, welche noch nicht vom Tourismus verseucht worden sind. Denn die Mursi, die mit ihren kunstvollen Frisuren, die Frauen mit ihren nackten Brüsten und mit Narben verzierten Bäuchen und Gesichtern in Touristenbroschüren zu finden sind haben doch schon viel an Tradition verloren und stehen, anstatt sich um ihr Vieh zu kümmern, doch lieber mit bemalten Gesichtern vor den Kameras der Touristen. Wie weiter ? Da die Fortsetzung meiner Reise durch Eritrea wegen des aufgeflammten Krieges, nicht möglich ist, -ich nicht fliegen möchte und mir der Weg via Jemen und Saudi-Arabien als nicht sehr angenehm erscheint, gibt es nur eine Möglichkeit: SUDAN. So zog ich zur Sudanesischen Botschaft. Ich fuhr mit dem Motorrad vor, erklärte die Lage und ein Visum für den Sudan wurde mir versprochen. Die Ethiopian Tourist Commission sagt zwar, dass die Grenze geschlossen sei, doch die Sudanesen sagen 'No problem'. Wie beschwerlich aber der Landweg nach Sudan ist, und dass ich mich danach im Knast wiederfinde, liess ich mir nicht träumen... Routenwahl: Von Kenia: Moyale nach Reiseinfos Reiseziel: irgendwie nach Norden. Dauer: 2 Monate Einreiseformalitäten: Visum. In Kenia problemlos erhältlich. Lokales Carnet de passage wird am Zoll ausgestellt. Kostenpunkt: 2 Dollar. Geld: Travellerchecks sind in den Banken kein Problem. -Kein Schwarzmarkt vorhanden Unterkunft: Fast überall gibt es günstige, schlechte Hotels. Vorsicht: Ungeziefer!!! Verpflegung: kein Problem aber nichts für einen empfindlichen Magen Sprachen: amharisch, tigray, selten arabisch und englisch. Alte Leute sprechen oft italienisch Besuchte Sehenswürdigkeiten: Stämme in der South Omo Provinz, Rastafariastadt in Shashemene, Kirchen in Lalibela, Nilquellen bei Bahir Dar, Königspaläste in Gondar Besonderes: Vorsicht im Umgang mit feindseligen Stämmen und wilden Tieren. Hyänen gibt es auch in den Städten. Auskunft: Diverse Reisebüros... Reiseveranstalter, Organisation: Lokale Organisationen in Addis Abeba. Reisen auf dem Landweg ist jedoch schwierig. Reiseführer: Bradt guide (Englisch) Karten: Michelin 954, lokale Landeskarte erhältlich im staatlichen Tourist Office |